Trommelwirbel 34

Leseprobe

Kindergarten - Gedanken und Erfahrungen

Nina Vöhringer mit Nelly

Kita in der Schweiz. Ein leidiges, föderalistisches Thema. Es gibt weder ein Recht auf einen Platz noch eine einheitlich geregelte Finanzierung. Wenn ich deutschen Eltern zuhöre, wie sie über die Preise ihrer Kita oder Krippe (oder bei ihnen auch mal Kindergarten genannt) sprechen, dann merke ich, sie reden von Wochenpreisen bei Beträgen, die bei uns pro Tag fällig werden. Schon in der Schwangerschaft haben wir Nelly angemeldet. In der Schweiz gibt es drei Monate Mutterschaftsurlaub (ja, heißt wirklich so) und danach geht‘s zurück an die Arbeit. Für die Väter gibt‘s zwei Wochen. Ich habe geplant, gleich danach wieder einzusteigen. Einen Verdienstausfall von drei Monaten, die man als unbezahlten Urlaub anhängen kann, ohne den Job zu verlieren, haben wir uns nicht leisten können. Außerdem war (und bin) ich überzeugt davon, dass Kita den meisten Kindern grundsätzlich guttut. Wir haben einige Kitas angeschaut. Dann kam die Nachricht, dass unser ungeborenes Baby CHARGE hat. Welche Symptome wussten wir noch nicht. Zum Glück gibt es bei uns im Ort eine integrative Kita, ca. 50 % der Kinder haben eine Behinderung, die anderen 50 % haben keine. Hörgerät, Sonde, Trachealkanüle, Beatmung? Alles kein Problem im Kinderhaus Imago, das ursprünglich von Eltern sehbehinderter Kinder gegründet wurde. Wir hatten nach dem Gespräch ein super Gefühl.

Nur, wie sollte die Kita finanziert werden? Ein Kind mit Behinderung hat einen leicht höheren Normaltarif und dieser wird dann multipliziert. Maximale Stufe ist Faktor 3. Die Stadt empfahl uns lapidar, Sozialhilfe zu beantragen. Dass wir dafür zu viel haben und verdienen, ist ihnen egal, eine andere Lösung gibt es nicht. Die Stadt Zürich z. B. übernimmt die behinderungsbedingten Mehrkosten.

Nelly kam zur Welt und war erstmal drei Monate auf der Neonatologie, danach während meinen verschobenen drei Monaten Mutterschaftsurlaub zu Hause - mit Nasensonde und Dünndarm-Stoma - und dann nochmal zwei Monate im Kinderspital. Sie kam ohne Stoma wieder heim, aber nach wie vor sondiert mit einem strikten Regime und neu mit Hörgeräten. Ich pumpte Milch ab, wir lernten erst Babygebärden und begaben uns dann auf den Weg, Gebärdensprache zu lernen, Nelly wollte die Hörgeräte nie anlassen und zog sich einmal täglich die Sonde.

Nelly hatte ein- bis zweimal pro Woche Logopädie zu Hause, einmal Audiopädagogik zu Hause und ein- bis zweimal wöchentlich Physiotherapie in einer Praxis, sie war überhaupt noch nicht mobil und konnte noch nicht sitzen. Sie hatte Nachwirkungen von ihrer Darmoperation und benötigte deshalb aufwändige Pflege. Sie musste wöchentlich gewogen werden, sie benötigte Medikamente und zweimal wöchentliche Laborkontrollen. Alle naselang musste sie mit einem Infekt ins Kinderspital. Ich musste und wollte ab Oktober wieder zu 70 % arbeiten. Wir benötigten dringend Entlastung. Mit unserem Kind zu Hause zu sein war wundervoll, aber auch extrem anstrengend. Zudem traute sich kaum jemand im Umfeld die Betreuung eines medizinisch so fragilen Babys zu. Mit dem Tageselternverein hatte ich schon vor der Geburt eine unangenehme Konversation, man empfahl mir «so ein Kind» eher nicht zu Tageseltern zu geben. Exkludiert schon vor der Geburt. Also klopften wir beim Imago an, informierten uns, ob es nicht doch Finanzierungsmöglichkeiten gäbe. Nelly hatte einen Faktor von 2.5, ein «kurzer Tag» Kita (Vormittag oder Nachmittag plus Mittagessen) kostete also über 200 Franken. Zwei kurze Tage waren das absolute empfohlene Minimum. Da unsere Stadt sich so querstellte, hat das Imago, welches von einer Stiftung getragen wird, eine größere Summe zur Verfügung gestellt – zum großen Glück! Dadurch hatten wir Zeit, eine tragfähige Lösung zu suchen. Nelly ging also ab Januar 2022 in die Kita. Immerhin hatte sie sich im November 2021 selber von der Sonde entwöhnt, sodass dieser Stress wegfiel. Nach drei Tagen war sie eingewöhnt und blieb 6 bis 7 Stunden dort an zwei Tagen die Woche. Sie weinte nie beim Abgeben oder Abholen und wir waren absolut glücklich mit dieser Lösung. Sie lag in einer Wippe oder am Boden auf einer Decke, belutschte alles Spielzeug und bestaunte die anderen Babys. Wir waren - und sind - überzeugt: Sie ist am richtigen Ort.

Da David eine volle Invalidenrente hat, tat sich schließlich die Möglichkeit auf, die Kita bei den Ergänzungsleistungen als Mehrkosten anzugeben. Das genau auszuführen, wäre hier zu komplex. Letztendlich wird damit anerkannt, dass der Elternteil mit Behinderung, der nicht erwerbstätig sein kann, Entlastung benötigt. Die EL-Stelle bezahlt allerdings nicht die Kita, sie rechnet die Kosten einfach mit zu den anerkannten Ausgaben und das erhöht die Auszahlungen. Damit das passiert, ist ein umfangreicher Prozess notwendig, in dem ein Arzt den Bedarf ausführlich bescheinigt. Man macht sich also „nackt“. Vor nicht einigen Monaten haben wir einen 3. «kurzen Tag» beantragt. Dieser wird nun ebenfalls durch die Stiftung Visoparents getragen, wofür wir unendlich dankbar sind. Nelly ist größer und mobiler, sie braucht weniger Pflege, ihr Faktor sank von 2.5 auf 1.5 und im August 2023 ist sie zu den Großen gewechselt.

Im Imago arbeiten die ErzieherInnen mit allen Kindern mit Porta-Gebärden und Metacom-Piktogrammen. Porta-Gebärden* werden nur in der Schweiz verwendet, primär in Institutionen, es ist ein Wortschatz von 500 Gebärden, angelehnt an die Deutschschweizerische Gebärdensprache. Es gibt Taster, Vorlesestifte usw. Es gibt den Essenraum, den Musikraum, einen Bewegungsraum und einen Snoezelen-Raum. Und natürlich den Hauptraum, in dem Nelly vor allem die Kinderküche und das Bücherregal sehr liebt. Alle Kinder machen mittags Pause, manche schlafen. Nelly hat ihren Mittagsschlaf schon lange abgeschafft, oft hört sie in dieser Zeit Toniebox oder liest sich selbst mit dem Tellimero-Stift Bilderbücher vor. Bei allen Aktivitäten können alle Kinder mitmachen.

Nelly liebt die Kita nach wie vor sehr. Auch für uns gab es Inspirationen, wie man Dinge anpassen oder ihr etwas beibringen könnte. Sie hat ihre Therapien nun teils dort statt zu Hause, was für unseren Familienalltag eine Entlastung darstellt. Wir denken auch, dass die Kita eine gute Vorbereitung für den Kindergarten ist. Kindergarten gehört in unserem Kanton zum offiziellen Schulsystem und ist obligatorisch. Regulär kommt ein Kind mit 4 Jahren in den «Kindsig», bei Nelly ist das im Sommer 2025.

Wir sind heute überzeugt, dass Nelly auch in eine normale Kita hätte gehen können. Sie wäre aber vermutlich niemals so gut begleitet und gefördert worden wie im Imago. Dort wird mit Selbstverständlichkeit die FM-Anlage genutzt, Hörgerätebatterien gewechselt usw. Auch hätte sie nicht diese Art von Inklusion erleben dürfen. Denn das Kinderhaus Imago ist eben eine integrative Kita, 50 % der Kinder haben keine Behinderung, es ist keine separative Behinderteninstitution. Für uns war das sehr wichtig, wir stehen dem Prinzip separativer Institutionen sehr kritisch gegenüber. Alle Aktivitäten sind so ausgerichtet, dass alle Kinder sie machen können. Verschiedene Behinderungen werden stets mitgedacht.

*Porta ist keine Sprache, es gibt keine Grammatik, keine Satzbildung usw., es sind einfach nur Worte, die gebärdet werden. Die Gebärden sind manchmal gleich wie bei der DSGS (Deutschschweizerische Gebärdensprache), oft aber auch anders, sie sollen auch für Menschen mit motorischer Behinderung nutzbar sein. Damit fallen aus meiner Sicht manche der großen Vorteile von Gebärdensprache weg: Gehörlose verstehen keine Porta-Gebärden. Die ganze visuelle Struktur, die die Gebärdensprache
bietet, fällt ebenfalls weg (Gesichtsausdruck, das Aufzählen beim Beschreiben von Abläufen, das größer/kleiner Gebärden usw.). Trotzdem finden wir, dass der Gebrauch von Porta-Gebärden viel
besser ist für Nelly, als wenn gar keine Gebärden genutzt würden. Heute beherrscht sie oft zwei Gebärden für ein Wort, wie auch Kinder, die mit verschiedenen Gebärdensprach- oder Lautsprache-Dialekten aufwachsen. Der Vorteil an Porta ist, dass es recht verbreitet ist, wir treffen immer mal wieder irgendwo Menschen, die Porta-Gebärden können (z. B. in der Notaufnahme eine Pflegefachfrau oder beim Camping war ein Vater dabei, der in einer Behinderteninstitution arbeitet, wir waren beim Kinderzahnarzt, der einen Sohn mit Behinderung hat usw.)

Katharina Blumenroth mit Karla

Der perfekte Kindergarten?

Bald steht die Eingewöhnung im Kindergarten vor der Tür und man fragt sich voll Hoffnung und Angst, ob man sich richtig entschieden hat?

Nach vielen Gesprächen mit unseren Frühförderstellen stand bald fest, es kann nur ein Regelkindergarten werden. Alternativ gäbe es noch, ca. 45 Minuten entfernt gelegen, zwei Schulkindergärten für körperbehinderte Kinder. Doch beide Leiterinnen rieten mir davon ab, als ich Karla dort vorgestellt habe. Sie sei „zu fit“ dafür. Karla ist ein kleiner Wirbelwind, der versucht, möglichst selbstständig zu laufen und auch viel und gerne spricht. In den Gruppen der körperbehinderten Kinder seien momentan vor allem Kinder, die körperlich und sprachlich weit verzögert sind. Andere alternative Kindergärten mit Förderschwerpunkte wie z. B. Sprache oder Sehen sagten mir gleich ab. Der Förderbedarf werde nicht gesehen, da gibt es ganz „andere Fälle“.

Daher blieb dann „nur“ der Regelkindergarten. Mein Wunsch-Kindergarten entpuppte sich jedoch als nicht geeignet: Betreuung nur dauerhaft mit I-Kraft, welche vom Landratsamt nicht finanziert wird, wirklich erwünscht waren wir hier wohl nicht. Die Mitarbeiter schienen eher demotiviert zu sein und auch Karla hatte der Schnuppertag nicht wirklich zugesagt. Nach Gesprächen mit der Stadt gab es nur noch eine andere Möglichkeit und dort stellte sich dann auch das positive Bauchgefühl ein. Wir wurden beim Kennenlernen sehr nett empfangen und man interessierte sich gleich für Karla, was mag sie, was nicht? Wie klappt es mit der Kommunikation? Welche Anzeichen gibt es, wenn sie sich überfordert fühlt?

Auch Karla war gleich im Bewegungsraum Feuer und Flamme und versuchte das Klettergerüst zu erklimmen. Daher stand die Wahl dann fest, dieser Kindergarten soll es sein. Eine I-Kraft wird Karla dabei stundenweise unterstützen, der Rest wird von den Erzieherinnen vor Ort geleistet. Und wenn die I-Kraft krank ist? Das sollte kein Problem sein, versprach man mir.

Insgesamt ist es ein sehr junges Team, durchaus sehr motiviert und interessiert und der Kindergarten hat ein sehr offenes Konzept: Die Kinder können frei wählen, in welchem Raum sie sich aufhalten, ob im Bewegungsraum, im Bauzimmer, im Ruheraum oder im Bastelzimmer. Momentan sind dort 21 Kinder und das Personal voll besetzt. Eine I-Kraft wird zurzeit leider noch gesucht, ich hoffe, dass sich hier noch bald jemand findet.

Nun bleibt es abzuwarten, ob mein Bauchgefühl recht hatte. Wir starten jedenfalls von der Tagesmutter mit einem guten Gefühl und hoffentlich einem Kind, das gerne in den Kindergarten geht und dort integriert und mit seinen Eigenheiten akzeptiert wird.

Verena Bernstein mit Ida

Als wir mit der Suche nach einem Kindergartenplatz anfingen, war Ida 1 1/2 Jahre alt. Sie wurde als Frühchen mit einer beidseitigen knöchernen Choanalatresie, Kolobomen, ASD und PFO, Posthämorrhagischen Hydrozephalus, Harntransportstörung, einer Schallleitungsstörung und noch einigem mehr geboren.

Ida

Wir wohnen in einer Kleinstadt in Bayern, in der es acht Kindergärten gibt, da sollte sich bestimmt eine gute Möglichkeit der Betreuung für Ida finden. Zunächst kontaktierten wir also erst einmal alle Kindergärten, die für uns infrage kamen. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es nicht einfach werden würde. Ida konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht sitzen und es stand noch in den Sternen, wann sie laufen lernen würde oder ob überhaupt. Auch war sie gerade erst mit Hörgeräten und Brille versorgt worden. Das brachte viel Unsicherheit bei den Erziehern hervor und somit auch bei uns Eltern.

Wir hospitierten in ein paar Kindergärten, aber es war nicht so zufriedenstellend, wie wir uns das für Ida gewünscht hätten. Die Gruppen waren einfach zu groß. Ida würde untergehen - selbst mit einer Begleitung würde es schwierig werden.

Da wir die Mainfränkischen Werkstätten und auch eine große Schule der Lebenshilfe im Ort haben, war also klar, dass wir sie im Integrativkindergarten anmelden würden. Der Kindergarten bot 15 Plätze an. Fünf davon sind Integrationsplätze. In der Theorie bekommen diese Kinder Logopädie, Ergotherapie und auch Physiotherapie. Inzwischen war Ida 2 Jahre alt und wir standen auf der Warteliste. Kurz danach kam dann die Zusage, dass sie mit 2 1/2 Jahren starten dürfe. Jetzt war noch zu klären, ob sie in die SVE (schulvorbereitende Einrichtung mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung) oder in den Integrativkindergarten gehen kann.

Wir sahen Ida eher im Kindergarten, weil wir uns sicher waren, dass Ida keine geistige Einschränkung hat. Die Leitung war jedoch mehr als skeptisch. So vermittelten die ewig langen Diagnosen in den Arztbriefen, die wir vorzeigen sollten, einen ganz anderen Eindruck als unsere Darstellung von Ida. Im Nachhinein können wir die Einschätzung etwas verstehen. Ida hat nicht gesprochen, war sehr wackelig auf den Beinen und konnte nicht alleine laufen. Aber wir waren uns sicher, dass da ganz viel in ihr steckte und sie das mit etwas Zeit schon wuppen würde. Nach vielen Diskussionen einigten wir uns also darauf, dass wir es doch zumindest versuchen können. Schnell hat sich gezeigt, dass wir Ida richtig eingeschätzt hatten und es sich mal wieder gelohnt hat, ein paar Runden extra in Sachen Überzeugungsarbeit zu drehen. Der Kindergarten kümmerte sich um die Beantragung einer Begleitung, welche auch schnell und ohne große Hürden bewilligt wurde. Auch um die Anstellung wollte sich der Kindergarten kümmern, wenn es so weit war.

Ida konnte pünktlich starten, allerdings ohne 1 zu 1 Unterstützung (es hatte sich noch niemand gefunden) und siehe da - es ging sogar ohne. Allerdings konnte der Kindergarten dadurch den Betreuungsschlüssel erhöhen, was auch Ida zugutekam. Wir gewöhnten Ida ein und sie machte es wirklich toll. Dann kam auch für uns Corona. Kindergarten von jetzt auf gleich zu. Keine Therapien. Pause.

Dadurch, dass wir einen Integrationsplatz hatten, konnte Ida zumindest nach ein paar Wochen wieder in den Kindergarten gehen. Aber alle Therapien lagen nach wie vor auf Eis, da wir an die Einrichtung gebunden waren. Wir konnten Ida nur noch an der Tür abgeben und abholen. Die Gespräche beliefen sich auf das Minimalste. Eigentlich sollte auch die Frühförderung Hören regelmäßig in den Kindergarten kommen, um den Kontakt mit anderen Kindern anzubahnen bzw. auch bei den Erziehern für mehr Verständnis und Aufklärung einer Hörschädigung zu sorgen. All das blieb während dieser Zeit leider auf der Strecke. Als wir endlich wieder zu einer Art Normalität zurückkehren konnten, gab es erst einmal eine große Runde, bei der alle Therapeuten, die Kindergartenleitung, die Hörfrühförderung und auch wir Eltern zusammenkamen. Dies wurde von der Frühförderstelle initiiert und findet unter anderen Umständen auch regelmäßiger statt. Es wurde sich über Idas Entwicklungsstand ausgetauscht und Ziele formuliert bzw. wo die Schwerpunkte der Förderung im Kindergartenalltag liegen sollten. In diesen Gesprächen haben wir auch immer wieder für Verständnis mancher Eigenarten von Ida gebeten.

Wir machten mit dem CHARGE-Verein einen Gebärdenkurs und stellten in diesem Zuge fest, dass der Kindergarten „nur“ sehr wenig bis gar nicht mit den Kindern gebärdete. Es gab zwar eine Gebärde der Woche, aber wirklich viel war es leider nicht. Ich denke, es hätte Ida sehr viel mehr geholfen, wenn sie schön früher mit Gebärden hätte kommunizieren können. Sie tat sich nach wie vor sehr schwer, die anderen Kinder zu verstehen oder der Erzieherin im Morgenkreis zu folgen. In der Gruppe ist es noch schwieriger. Daher ist sie nach wie vor sehr auf Erwachsene fixiert. Im Laufe des zweiten Kindergartenjahres machte uns die Frühförderstelle Hören den Vorschlag, im Kindergarten des Förderzentrums für Hören zu hospitieren. Sie könne sich Ida dort sehr gut vorstellen und auch hinsichtlich Schule wäre es eine sehr gute Option. Wir schauten uns den Kindergarten an und waren sofort begeistert. Unsere Bedenken waren jedoch die lange Busfahrt (es ist einfach eine 1/2 Stunde, aber auf dem Weg werden noch jede Menge weitere Kinder eingesammelt, sodass es immer 1 Stunde 15 Minuten sind) und natürlich kaum Freundschaften vor Ort möglich sind, weil die Kinder aus dem ganzen Bezirk kommen.

Die Gruppe ist mit sieben Kindern nur halb so groß wie im Integrativkindergarten und auch die Akustik ist für Ida um einiges besser. Mundmotorik, Gebärden und auch der Umgang (z. B. An-/Ausziehen) der Hörgeräte bzw. CI werden geübt und gehörten zum Alltag. Alles Dinge, die im anderen Kindergarten dann irgendwie doch untergingen, weil es eben nur ein Kind mit Hörschädigung war. Wir mussten also nicht lange überlegen und beschlossen, dass Ida das letzte Jahr vor der Schule dort in die Vorschulgruppe gehen soll.

Zeitgleich beantragten wir auch die Schulrückstellung. Ida war ein Kann-Kind und weil sie ein Frühchen war, ja auch eigentlich noch nicht lange genug auf der Welt. Die Ärztin vom Landratsamt bei der Schuleingangsuntersuchung unterstütze glücklicherweise unsere Entscheidung. Kurz nach dem 6. Geburtstag wechselte sie also in die Vorschule des Kindergartens für Kinder mit Hörschädigung. Das ist jetzt ein gutes halbes Jahr her. Wir haben uns zunächst gegen die Heilpädagogische Ganztagesstätte entschieden, da uns die Fahrt mit dem Bus und eine kilometerweit entfernte Ida genug Umstellung war. Für nächstes Jahr wünscht sie sich aber auch, dort hinzugehen, weil sie dann mehr Zeit mit den Kindern verbringen kann. Auch haben wir dann die Möglichkeit, alle Therapien in der Schule stattfinden zu lassen. Momentan quetschen wir diese in sämtliche Nachmittage.

Ida hat zwar anfänglich etwas gebraucht, um sich einzufinden, aber inzwischen ist sie super dort angekommen. Es ist ja doch ein sehr großer Campus. Sie bekommt viel mehr mit, was um sie herum passiert. Das macht sie sicherer und offener. Sie geht sehr gerne hin und auch die Busfahrt klappt trotz unserer Bedenken zum Glück richtig gut. Die tägliche Kommunikation mit der Erzieherin erfolgt über ein Heft, das immer im Rucksack hin und her geschickt wird sowie E-Mails oder Telefonate. Natürlich auch mal ein Gespräch vor Ort. Außerdem gibt es einen Ordner, der über das Wochenende mit nach Hause geschickt wird. Hier können die Eltern nachlesen und sehen, was die Kinder während der Woche gemacht haben. Des Weiteren gestalten wir in einem Fotobuch ein „Erlebnis“ vom Wochenende, das sie dann im Morgenkreis den anderen Kindern zeigen und erzählen kann.

Der Hörgeräteakustiker für Kinder ist gleich neben der Einrichtung. Daher können kleine Dinge, wie Reparaturen oder Schläuche auswechseln, einfach mal zwischendurch erledigt werden. Auch kommt regelmäßig jemand von der HNO-Klinik und kontrolliert den Gehörgang der Kinder.

Nun ist sie fast ein Schulkind und freut sich schon riesig darauf, dass es endlich losgeht. Im September startet sie an der Grundschule, die ebenfalls dem Campus angehört. Alles in allem können wir sagen, dass sich der Wechsel sehr gelohnt hat und Ida von den Gebärden und der deutlich kleineren Gruppe sowie der besseren Akustik beim Lernen und der Entwicklung profitiert.

Caro Herz mit Max:

Max ist aktuell 4,5 Jahre alt und geht in eine SVE für Hörgeschädigte mit Zusatzsyndrom in Ursberg (Schwaben). Das war aber nicht immer so. Als Max ca. 2 Jahre alt war, begannen bei uns die Planungen für einen Kindergarten. Das mag recht früh erscheinen, ist aber vor allen den regionalen Umständen geschuldet. Bei uns hier im Oberallgäu wird in der Kommune online im Januar eines Kalenderjahres der Bedarf für das nächste Kindergartenjahr abgefragt. Eigentlich müsste man besser sagen: wenn man sich in dieser Frist nicht online anmeldet, hat man keinen Anspruch auf einen Platz. Natürlich sind die Anmeldeformulare nicht gut für Kinder wie Max geeignet: kein Platz für Anmerkungen, kein Button für „benötigt evtl. Assistenz“, es ist kein „außerhalb der Norm“ vorgesehen. Also füllte ich die Formulare so gut es eben ging aus und trat mit dem ersten Kindergarten, mit der Leitung, in telefonischen Kontakt. Dieser verlief aber alles andere als gut. Nach ca. einer Minute musste ich die Dame am anderen Ende der Leitung bitten, mir gegenüber nicht so aggressiv zu sein und die Schärfe aus ihrem Ton zu nehmen. Aber es half nichts: Die Dame redete sich in Rage, es fehlen Sätze wie: „solche Kinder liegen nur in großen Gruppen auf dem Boden herum und kriegen eh nichts mit“, oder „für solche Kinder gibt es extra Einrichtungen“. Außerdem könne man jetzt nichts dazu sagen, weil in der Bearbeitungsfrist keinerlei Aussagen für oder gegen eine Aufnahme getroffen werden dürften. Ich legte mit einem freundlichen „Danke für Ihre Bemühungen“ auf und wusste nicht, ob ich jetzt weinen, lachen oder ausrasten sollte. Ich war einfach so entsetzt. Es ist ja schon schlimm genug, wenn Menschen noch so denken, aber dies als Leitung gegenüber einer betroffenen Mutter so zu äußern? Auch heute, wenn ich diese Zeilen schreibe, muss ich noch mit dem Kopf schütteln. Kurz nach diesem Telefonat kam die Logopädin von Max zu uns. Sie merkte, dass etwas nicht stimmte. Ich erzählte ihr von meiner Erfahrung am Telefon und meinem Entsetzen. Zugleich auch über meine Trauer und meine Sorgen darüber, wie das werden sollte mit Max in einem Regelkindergarten. Max ist und war körperlich recht fit und kognitiv absolut in der Lage dazu, so unsere Einschätzung. Auch die Logopädin sah das so. Und aus heutiger Sicht zum Glück betreute sie danach ein Kind in einem Kindergarten in einem der Nachbarorte von uns. Sie erzählte der Leitung dieses Kindergartens und einer Erzieherin von meiner gemachten negativen Erfahrung. Und das brachte den Stein ins Rollen. Ich kürze es ab: nach ein paar Treffen und Besichtigen des Kindergartens konnte Max dorthin gehen. Die erforderlichen Anträge für Aufnahme eines Gastkindes (weil wir gemeindlich nicht dorthin zugeteilt sind) waren erfolgreich und so konnte Max ab September 2022 in einen Regelkindergarten gehen. Er hatte Anspruch auf eine I-Kraft.

Und dieser Satz schreibt sich leichter, als es tatsächlich ist, jemanden zu finden. In unserem Fall stellte der Träger diese nicht an. Über das Persönliche Budget konnte sie auch nicht laufen. Daher wurde ein „dritter Player“ ins Boot geholt, der die I-Kraft dann bei sich anstellen sollte und vom Bezirk (= zuständiges Sozialamt in Bayern) wiederum das Geld für CHARGE Syndrom e.V. diese erhält. Also wie meist: alles finanziert, aber ein bisschen viel, vor allem bürokratischer Aufwand. Dieser „dritter Player“ war in unserem Fall für die Region und den Kindergartenbereich die Johanniter. Die für uns zuständige Dame erklärte uns den Ablauf bei einem ersten Treffen: Sie schreibt nun eine Jobanzeige und übernimmt das ganze Bewerbungsverfahren in der Organisation. Dann macht sie eine Vorauswahl von 2 bis 3 Bewerbern, aus denen wir als Eltern dann auswählen dürfen, wer Max in den Kindergarten begleiten soll. Ihr lest vielleicht schon mein Lächeln dabei heraus: natürlich gab es überhaupt nicht so viele Bewerber, dass man eine Auswahl gehabt hätte. Wir waren froh, dass sich dann bis 3 Wochen vor Kiga-Start eine I-Kraft beworben hatte. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass sie sich gar nicht explizit für die Begleitung von Max beworben hatte, sondern für eine andere Stelle bei den Johannitern. Da aber die gleiche Sachbearbeiterin zuständig war, schaffte sie es, die Frau für Max’ Begleitung zu gewinnen. Und wir waren super froh darüber! Denn ohne sie wäre der Kindergartenstart ins Wasser gefallen.

Zum Glück ging es also im September 2022 los. Die Eingewöhnung lief sehr gut, viel besser als bei anderen Kindern. Man muss dazu sagen, dass Max in eine sehr kleine Gruppe mit lediglich 14 Kindern kam, die aber alle frisch im September bzw. Oktober (gestaffelt) ihre Kindergartenzeit begannen. Natürlich erleichtert eine I-Kraft die Eingewöhnung. Max hatte schnell und (CHARGE-)pragmatisch verstanden und akzeptiert, dass nun Heike für ihn im Kindergarten zuständig war. Ein, zwei Tränen-Tage gab es, aber dann war die Eingewöhnung abgeschlossen. Aber Max ist in solchen Dingen eben voll der Pragmatiker. Wenn er einmal verstanden hat, wie der Hase läuft, passt das für ihn. Sehr angenehm.

Die Begleitung und Integration in die Gruppe lief größtenteils auch sehr gut. Die Erzieherinnen waren sehr bemüht und offen für die vielen Erklärungen, die sie von uns Eltern immer wieder bekamen. CHARGE war für alle etwas völlig Neues. Ich merkte als Mutter schnell, dass ich aufpassen musste, hier nicht die Beteiligten zu überfordern. An einigen Stellen wurde aber offenbar, wo die Barrieren lagen: Abläufe wurden anfangs zu wenig visualisiert, das Regelprogramm“ wurde kurzfristig gerne mal verändert, Räume wurden entgegen einer Routine getauscht. Das klingt nicht sehr dramatisch, aber bei Max konnte man dabei oft beobachten, dass es nicht klappte. Es verwirrte ihn mehr und er reagierte mit totaler Lustlosigkeit oder deutlich verminderter Aufmerksamkeitsspanne. In den Kindergarten kamen eine Logopädin und die Physiotherapeuten der Frühförderung und konnten am Vormittag dort ihre Einheiten mit ihm haben. Lediglich einmal pro Woche kam nachmittags eine Heilpädagogin der Frühförderung Sehen aus Augsburg zu uns nach Hause. Das viele zusätzliche Hin- und Herfahren für Therapietermine entfiel damit. Das entlastete unsere Nachmittage.

Rückblickend betrachtet lief es mit der I-Kraft gut, wenn auch an vielen kleinen Dingen immer wieder gearbeitet werden musste. Das Wichtigste war, dass sich beide genial verstanden und mochten – und das war für uns Eltern immer das Wichtigste. Am Rest kann man arbeiten, wenn auch manchmal nicht so erfolgversprechend, wie von mir erhofft. Wahrscheinlich war da meine Erwartung auch zu hoch angesetzt. Die größte Barriere hier lag in der non-verbalen Kommunikation, vor allem beim Gebärden. Alle gaben sich viel Mühe, aber man merkte einfach, wo die Grenzen eines Regelkindergartens dabei liegen. Wenn die I-Kraft einmal krank war oder wie in unserem Fall etwas länger aufgrund einer OP ausfiel, musste erst eine Regelung gefunden werden, dass Max dennoch in den Kiga gehen konnte. Das hat sich dann in der zweiten Jahreshälfte mit einer zusätzlichen Erzieherin in der Gruppe, die auch schon einmal I-Kraft bei einem CHARGE-Kind war, auch sehr gut eingependelt und ich bin dafür dem Kindergarten auch sehr dankbar. Was war nun der Grund, warum Max nach nur einem Jahr Regelkindergarten die Einrichtung wechseln musste? Ja, ich schreibe bewusst „musste“, weil Max wahrscheinlich eines der wenigen Kinder ist, die ganz offiziell eine Kündigung für den Kindergarten erhielten. Klingt komisch? Ist es auch, vor allem weil es wahrscheinlich im Fall von Max mit 100 %-Behinderung gar nicht rechtens war. Aber der offizielle Grund war ein anderer trauriger: für Gastkinder war bei diesem Träger (kommunale Gemeinde) kein Platz mehr, da man genug damit zu tun hatte, für die „eigenen Kinder“ ausreichend Plätze in der Kinderbetreuung zu haben. Das kann ich sogar noch gut verstehen, war aber dennoch für uns super traurig im ersten Moment.

Was also sollten wir nun tun? Wieder in einen Regelkindergarten? Oder doch in eine heilpädagogische Einrichtung? Unsere Heilpädagogin von der Frühförderung Hören hat uns hier beraten und eine heilpädagogische Einrichtung ins Spiel gebracht, die für uns aufgrund der Entfernung (einfach 115 km) eigentlich nicht infrage kam: Ursberg. Träger ist das Dominikus-Ringeisen-Werk. Und die dortige Franz-von-Sales-Schule (für Hörgeschädigte mit Zusatzsyndrom) hat eine SVE (Schul-vorbereitende-Einrichtung). Die Heilpädagogin organisierte einen Probetag für Max, und wir Eltern entschieden dann nach unserem und Max seinem Bauchgefühl. Max fühlte sich sofort super wohl, machte mit und packte gleich am ersten Schnuppertag seine Brotzeit dort wie selbstverständlich aus und aß mit den anderen Kindern. Für mich ein klares Zeichen: ihm geht es hier gut, er fühlt sich wohl. Auch die Gespräche mit den Erziehern vermittelten uns Eltern ein super Gefühl. Zum Glück war auch ein Platz für das nächste Jahr frei geworden (was bei nur 7 Plätzen ja nicht soooo wahrscheinlich ist) und daher war der Wechsel dorthin für Max perfekt! Der Bezirk stimmte zu und so war die einzige Sorge noch: Wie klappt das mit der langen Fahrt dorthin? Max war frisch vier Jahre alt geworden und soll nun jeden Tag ca. 1,5 Stunden hin- und das Gleiche nochmal zurückfahren? Mit einem Kleinbusunternehmen, also mit jemandem Fremden am Steuer? Es machte mir als Mama schon ein flaues Gefühl im Magen. Aber auch hier war Max einfach mega! Von Tag eins an fuhr er völlig alleine und selbstständig mit dem Kleinbus mit und ging in die neue SVE nach Ursberg – als wäre es nichts und als hätte er das schon immer so gemacht! Wir waren und sind so mächtig stolz auf ihn!

Natürlich kamen auch aus dem Umfeld die Fragen: „Warum macht ihr das? Ein Kind so weit in den Kindergarten fahren lassen? Gibt es da nichts anderes?“. Nein, gibt es bei uns hier regional leider nicht. Überhaupt anderen zu erklären, dass Max aus dem Regelkindergarten rausmusste, war für die meisten schon schwierig genug zu verstehen.

Mit der Zeit hatte ich mich als Mutter auch an solche Fragen gewöhnt – wie schon in so vielen Situationen mit Max. In der SVE hat Max einen klar, jeden Tag gleichstrukturierten Ablauf. Und das tut ihm wahnsinnig gut! Dabei wird er jeden Tag zu einem bestimmten Thema, das behandelt wird, ca. 45 Minuten ganz individuell gefördert, zusätzlich zu dem, was alle machen. Dabei arbeitet die Einrichtung vor allem bei der individuellen Kommunikation der Kinder, neben der Beschäftigung mit Alltagsdingen (malen, basteln, Freispiel, u.v.m.). Ein Förderplan wird mit uns Eltern ganz individuell besprochen und immer wieder überprüft und ggf. angepasst. Gerade bei der Kommunikation bin ich immer wieder sehr begeistert: Einsatz von Gebärden, Tablet, Bildkarten mit METACOM-Symbolen und Schrift sind selbstverständlich und werden von jedem Kind eingefordert. Zusätzlich werden eigene Bedürfnisse mit eingearbeitet: so benutzt Max dort das SVE-Tablett und sein eigenes Tablett (App: GoTalkNow) und teilweise eigene Gebärdenkarten mit realen Bildern. Hat Ursberg manchmal eigene Gebärden, die nicht immer der DGS-Gebärde entsprechen, kann man das mit den Erziehern aber absprechen und abstimmen, sodass für die Kinder eine (falls notwendig) Einheitlichkeit mit zu Hause herrscht. Über eine Signal-Gruppe ist hier der Austausch super einfach, schnell und direkt. Max hat in der SVE, sowie im Regelkindergarten auch, für „Arbeitseinheiten“ und zum Essen seinen eigenen Stuhl (Modell „Madita“ der Fa. Schuchmann in Kindergartengröße klein), der ihm, gerade was die Körperwahrnehmung und damit die Aufmerksamkeitsspanne betrifft, sehr hilft.

Das Fahren klappt von Max Seite aus auch gut. Eine I-Kraft braucht Max in der SVE nicht mehr. Wir sind sehr froh, dass er dort ist. Er liebt es und ist immer ganz traurig, wenn Ferien sind oder er krank ist und nicht dorthin gehen kann. Er hat auch, was Kommunikation angeht, riesige Fortschritte gemacht. Uns gefällt auch der Gedanke, dass sich Max hier als einer von vielen versteht und nicht als der eine, der „anders“ ist. Aber rückblickend war auch das Jahr Regelkindergarten für ihn super und ich möchte es nicht missen. Die Eingewöhnung in der SVE wäre nicht so unproblematisch gewesen, wenn Max gruppentechnisch nicht schon sozialisiert gewesen wäre. Und auch sonst war und ist für Max die bisherige Mischung wohl der genau perfekte Weg gewesen.

Kerstin Behler mit Mattis

Unser Weg zum Kindergartenkind

Während der Schwangerschaft mit Mattis war klar, dass auch unser zweiter Sohn zügig ein „Tagesmutterkind“ werden sollte. Ich arbeite gerne in meinem Beruf und da auch unser Eigenheim abbezahlt werden will, war klar, dass ich nach einem Jahr Elternzeit wieder in den Job zurückkehren würde. Wir hatten bei unserem großen Sohn eine großartige Tagesmutter, die auch für unseren Nachzügler gerne einen Platz reservierte.

Soweit unser Plan – aber dann kam nach der Geburt die Diagnose CHARGE und damit alles anders als geplant. Unser erstes Lebensjahr war wie bei vielen anderen Familien auch geprägt von monatelangen Krankenhausaufenthalten und unzähligen Operationen. Zum ersten Geburtstag hatten wir ein Kleinkind mit Sonde, Röhrchen in der Nase und permanentem Absaugbedarf, das eigentlich erst wenige Wochen überhaupt bei uns zu Hause gelebt hatte. An eine Fremdbetreuung war somit nicht wirklich zu denken und wir sagten den Platz bei der Tagesmutter natürlich ab. Trotzdem wollte ich unbedingt wieder einige Stunden arbeiten gehen – ich brauchte dringend wieder etwas Normalität in meinem Leben und nicht nur Gespräche mit Ärzten, Therapeuten und sonstigen Fachkräften.

Da wir bereits seit Ende des fünfmonatigen Krankenhausaufenthaltes stundenweise einen Pflegedienst an unserer Seite hatten, organisierten wir die Betreuung von Mattis über den Pflegedienst. Ich begann also nach einem Jahr wieder mit wenigen Stunden und wusste Mattis in dieser Zeit gut betreut von unserem Team. In dieser Zeit begann dann die Suche nach einem geeigneten Betreuungsplatz für die Zeit nach seinem 2. Geburtstag. Ich wollte gerne für ihn einen weitgehend normalen Alltag und etwas mehr Verlässlichkeit, denn das Pflegepersonal wechselte häufig oder krankheitsbedingt konnten sie niemanden schicken. Aber wohin mit einem Kind, das neben medizinischen Bedarfen auch noch gehörlos ist, schlecht sieht und noch nicht mobil ist? Unserer Tagesmutter wollte ich das nicht zumuten, obwohl sie der Inklusion durchaus offen gegenüberstand und sich diesbezüglich sogar fortgebildet hatte. Aber das betraf eben eher Kinder, die nicht diesen umfangreichen Bedarf auf vielen Ebenen hatten. Ich setzte mich also ans Telefon und begann, mit verschiedenen Kindergärten Kontakt aufzunehmen. Einige zeigten sich offen, andere waren aber auch skeptisch bezüglich des jungen Alters und der vielen Einschränkungen, die unser Sohn mitbrachte. Es gab schließlich auch viele Fragen zu klären:

Wie kann der medizinische Bedarf (Absaugen, Sondieren) sichergestellt werden? Wie offen ist der Kindergarten für Gebärden? Welche Fördermöglichkeiten können sie uns bieten? Gibt es die Möglichkeit, auswärtige Therapeuten ins Haus kommen zu lassen? Ein richtig gutes Gefühl hatte ich leider bei den wenigsten Kindergärten, denn hier bei uns steckte die Inklusion zum damaligen Zeitpunkt noch ziemlich in den Kinderschuhen. Parallel hatte ich auch Kontakt zum Heilpädagogischen Kindergarten in unserer Stadt aufgenommen. Auch dieser war sichtlich beeindruckt von den vielen Bedarfsanforderungen, die Mattis mitbrachte, aber sie waren von Anfang an offen, ihm trotz seines jungen Alters einen Platz anzubieten. Die meisten Kinder in den heilpädagogischen Gruppen waren bereits 3 Jahre alt, wenn sie in den Kindergarten kamen und so junge Kinder hatten sie eher selten.

Im Kindergarten gab es vier rein heilpädagogische Gruppen und zwei additive (gemischte) Gruppen. Mattis sahen sie schon eher in den kleinen, heilpädagogischen Gruppen und das schien mir zur damaligen Zeit auch am sinnvollsten. In vielen Gesprächen klärten wir dann die Fragen nach benötigten Hilfsmitteln, nötigen Therapien und einer nötigen Begleitung durch den Pflegedienst. Auch das Taubblindenwerk in Hannover kam zur Beratung in den Kindergarten.

Insgesamt hatten wir dann am Ende ein gutes Gefühl und gaben Mattis mit ziemlich genau zwei Jahren in den Kindergarten. Er blieb dann dort bis zu seinem 7. Geburtstag und ist immer gerne gegangen. Der Kindergarten gab seinem Tag Struktur, er hatte Kontakt zu anderen Kindern und hat das Miteinander genossen. Wie wichtig der Kindergarten ihm war, haben wir vor allem in der Corona-Zeit bemerkt, als er viele Wochen nicht gehen durfte. Was für eine Freude, als er endlich wieder in seinen Kindergarten durfte! Im letzten Kindergartenjahr wechselte er dann vom heilpädagogischen Bereich noch in den additiven, das hat seiner Entwicklung noch einmal einen richtigen Schub gegeben und wäre vielleicht auch schon ein Jahr früher sinnvoll gewesen. Mit vielem waren wir im Kindergarten zufrieden, z. B. taten ihm die Kleingruppen gerade zu Beginn sehr gut. Für mich war die Tatsache, dass er mit dem Taxi von zu Hause abgeholt wurde und die Therapien komplett im Kindergarten stattfanden, eine große Erleichterung. So hatten wir nachmittags Familienzeit und auch der große Bruder kam nicht zu kurz. Ich stand mit den Therapeuten in gutem Austausch, habe regelmäßig hospitiert und ihnen vertraut. Auch bei der Sonden-Entwöhnung durch Markus Wilken hat uns der Kindergarten unterstützt und keine Maßnahmen hinterfragt.

Natürlich gab es auch Dinge, die ich als wenig glücklich empfunden habe. Mattis hatte viele Wechsel bei den ErzieherInnen und hinsichtlich der unterstützten Kommunikation hätte ich mir von einem Heilpädagogischen Kindergarten mehr erwartet. Gearbeitet wurde mit GUK, aber meiner Meinung nach sehr halbherzig und wenig konstant. Viele ErzieherInnen verfügten auch über keine Kompetenzen diesbezüglich, was ich für einen Heilpädagogischen Kindergarten kein gutes Bild finde. Aber dieses Problem hätten wir an allen anderen Kindergärten vermutlich auch gehabt, es ist sehr schade, wie wenig Wissen und Einsatz hiervon es im Kindergartenbereich gibt.

Für uns war der Weg in den Heilpädagogischen Kindergarten insgesamt trotzdem richtig. Ich bin mir sicher, dass ein Regelkindergarten für mich viel mehr Kampf und Einsatz bedeutet hätte und ob Mattis sich auch dort so wohlgefühlt hätte? Und mit dem Wissen, ihn gut betreut zu wissen, war mir auch die Arbeit in meinem Beruf möglich. Zufriedene Mütter – zufriedene Kinder.

Claudia Junghans mit Jonas

Jonas in einem integrativen Kindergarten

Als Jonas in den Kindergarten kommen sollte, war er bereits 3 Jahre und 4 Monate alt. Davor war es kaum möglich gewesen, ihn in eine Einrichtung zu geben, da wir fast monatlich in Krankenhäusern gewesen
sind. Unser Wunsch war von Anfang an ein integrativer Kindergarten trotz

  • Luftröhrenschnitt
  • bestehender Essensproblematik (er konnte zwar oral essen, aber nur passierte Nahrung)
  • keinem freien Laufen
  • Windeln
  • besonderer Kommunikation (sehr schlechte Aussprache und vorwiegend Gebärden)

Auch der Kinderarzt sowie die Frühförderung sahen ihn in der Inklusion. Die Kindergärten im Ort (4 Stück) waren alle nicht integrativ und konnten ihn somit nicht aufnehmen. Der für uns zuständige integrative Kindergarten ca. 15 Autominuten entfernt lehnte uns ab mit der Begründung, dass sie „so ein Kind“ nicht nehmen könnten. Sie haben ihn damals weder angesehen noch sich ein persönliches Urteil gebildet. Ihre Empfehlung war eine heilpädagogische Einrichtung mit anschließender SVE. Fertig! Weder dem Kinderarzt noch uns sagte eine heilpädagogische Einrichtung zu, da die für uns zuständige über 45 Autominuten entfernt lag plus der Zeit, die er in einem Sammeltaxi verbracht hätte.

Der Kinderarzt ließ dann damals seine Beziehungen für uns spielen und fragte den in seinem Landkreis ansässigen integrativen Kindergarten an. Die Leitung und er kannten sich gut, und so kam es, dass wir uns dort persönlich vorstellen durften. Man nahm sich Zeit für uns, man hat Jonas gesehen, ihn wahrgenommen und auch UNS zugehört. Jonas wurde kurze Zeit später zu einer Hospitation eingeladen, die ich als Mutter begleitet habe. Über eine Woche durften sie ihn kennenlernen sowie auch er den Kindergarten kennenlernen durfte. Recht schnell wurde klar, dass er eine Assistenz benötigen würde, die aber für den Kindergarten kein Problem darstellte. Die Leitung des Kindergartens besuchte Jonas sogar einmal während einer Stunde der Blindenfrühförderung (bei uns zu Hause), um mehr über ihn zu lernen. Aufgrund der so wirklich offenen und herzlichen Art des Kindergartens war sehr schnell klar – das ist unser Kindergarten. Mit der Entscheidung mussten wir einen Antragskrieg über uns ergehen lassen. Gastantrag, Begründungen über Begründungen, Beförderung, Assistenz …

Am Ende wurden alle Anträge genehmigt mit der Bedingung, dass wir Jonas selbst in den Kindergarten fahren. Der Fahrtweg betrug ca. 20 Minuten, einfach. Anfangs nicht immer einfach, da Jonas mit seinem Luftröhrenschnitt ständig abgesaugt werden musste und wir bis dato nie alleine mit ihm im Auto gefahren waren. Also hieß es für mich: Strecke angesehen und mögliche Nothaltepunkte suchen. Diese Notfallstellen habe ich in den ersten Wochen auch oft genutzt, denn sobald er gehustet hat, musste ich anhalten, wie der Blitz aus dem Auto springen, nach hinten rennen und ihn absaugen. Hätte ich es nicht getan, hätte er mir jedes Mal ins Auto erbrochen.

Begonnen hat Jonas im September mit dem Kindergarten. Die ersten drei Monate habe ich ihn als Mama begleitet, da sich die Anträge für die Assistenz im Kindergarten zogen wie Kaugummi. Es war zwar von Anfang an klar, dass jemand mit musste, aber die Pflegekasse, Krankenkasse und auch der Bezirk stritten sich um Gelder und Stunden. Bis alles geregelt war, war es Dezember. Eingestellt haben wir dann über das Träger übergreifende persönliche Budget eine Krankenschwester, die ihn täglich begleitet hat. Anfangs ist Jonas nur am Vormittag im Kindergarten gewesen und vor dem Mittagessen abgeholt worden. Später ist er bis ca. 13.00 Uhr geblieben und als Vorschulkind dann auch einzelne Nachmittage. Wir haben uns zu jeder Zeit immer willkommen gefühlt und nie den Eindruck gehabt, dass er stören würde. Die Erzieher und auch die Leitung haben mit uns Gebärden gelernt, Kommunikationsbücher mit ihm geführt, ihm einen extra Stuhl bauen lassen, ihn zum Essen ermutigt, ihn ins freie Laufen gebracht, das Toilettentraining unterstützt und ihm eine wirklich tolle Kindergartenzeit beschert.

Auch als es dann um die Einschulung ging, haben sie mit uns gekämpft, dass er ein Jahr zurückgestellt werden konnte sowie ihm die inklusive Beschulung zu ermöglichen. Letzteres hat leider im ersten Schritt nicht geklappt, aber die Rückstellung für ein Jahr war erfolgreich. Jonas wurde über die 4 Jahre durch eine Krankenschwester, die zeitgleich auch Assistenz war, begleitet. Leider hat diese Krankenschwester immer mal wieder gewechselt, was weniger an Jonas lag, sondern mehr an privaten Veränderungen der Krankenschwestern. Fiel die Krankenschwester aus, durfte ich, ohne Probleme, begleiten bzw. übernahm der Kindergarten ihn auch mal alleine.

Jonas war ein Kind, das wirklich stark integriert war. Er wurde zu Geburtstagen eingeladen, er hat alle Ausflüge ganz selbstverständlich mitgemacht und er wurde in alle Programme mit einbezogen. Natürlich war es auch viel Einsatz und Arbeit von unserer Seite, die wir aber gerne geleistet haben. Rückblickend können wir sagen, dass es genau der richtige Kindergarten für Jonas gewesen ist. Ob eine SVE oder ein Heilpädagogischer Kindergarten besser gewesen wäre, wissen wir nicht. Aber wir konnten sehen, dass er starke Fortschritte gemacht hat, dass er sich wohlgefühlt hat, wir uns wohlgefühlt haben und es damit die richtige Entscheidung war. Von Herzen Danke für alles, Karin und Simone!

Jenny von Hacht mit Neo

Neos Suche nach einem Kindergartenplatz

Neos Weg in den Kindergarten war steinig. Er hatte schon vor Geburt einen Krippenplatz in der Kita von seinem großen Bruder, fußläufig von unserem zu Hause. Nach Neo’s Geburt (August 2018) hat keiner der vielen Krankenhäuser erkannt, dass er CHARGE hat. Ein 1 ½-jähriger, für mich unheimlich schmerzlicher Weg, bis wir wussten, was er hat. Den Krippenplatz haben wir verloren. Wir haben früh angefangen, einen neuen Krippenplatz zu suchen. Anspruch hatte er, die Realität sah anders aus. In Hamburg gibt es generell zu wenig Plätze. Hinzu kam, dass ihn keiner aufnehmen wollte. In den Gesprächen mit diversen Einrichtungen, hatte ich das Gefühl, ihn „gut verkaufen“ zu müssen, es war wie „bewerben“ um einen Krippenplatz. Final haben wir dann durch meine Tante, die im sozialen Bereich arbeitete, eine Regelkita gefunden.

Es sollte im März 2020 losgehen. Geplant war mit einer Begleitung (unser Wunsch eine, die DGS kann), die jedoch nie gefunden wurde. Dann kam Corona und uns wurde von einem Tag auf den anderen gesagt, sie könnten Neo nicht in der Krippe eingewöhnen. Die neue Leitung des Kindergartens hat uns dann einen Elementarplatz im August 2021 angeboten.

Alle Frühförderinnen schwärmten von einer Einrichtung, Fahrtweg 30 Minuten, in der 20 sprach- und mehrfach behinderte Kinder und fünf gesunde Kinder betreut werden. Diesen Kindergarten hatte ich schon am Anfang der Suche kontaktiert. Es gab keinen freien Platz. Durch die Verzögerungen und den Vertrauensverlust in die Regel Kita, rief ich dann erneut in der Kita Karoline an. Siehe da, ich durfte vorbeikommen und uns vorstellen.

Was für eine schöne Atmosphäre, was für eine tolle Kita-Leitung und ein super Kita-Team. Kurzfristig haben wir uns umentschieden und einen Platz erhalten. Es sollte so sein. Alles hat seine Zeit. Diese Kita hatte 12 Heilpädagogen, 1 Logopädin, 3 Physiotherapeuten, 2 Ergotherapeuten, 1 Krankenschwester, 1 ehrenamtlichen Fotografen, 1 Kunsttherapeuten, Turnhallenbesuch wöchentlich, damals noch Schwimmangebot wöchentlich. Jeder Mitarbeiter, jedes Kind in der Kita hat einen Gebärdennamen. Sie gebärden im Morgenkreis. Nicht immer perfekt und jeder unterschiedlich gut, aber ausreichend für uns. Neo bekommt zusätzlich 2 x 1,5 Stunden Gebärdenunterricht in der Kita (externer Träger) und 1 x pro Woche Sehfrühförderung (externer Träger). Viel wichtiger war, sie hatten Herz, wir waren willkommen und das war selbstverständlich, nicht aufgesetzt. Durch die Sauerstoffgaben im Schlaf, mussten wir jedoch noch eigene Krankenschwestern mitbringen. Das war kompliziert und nervig und was für ein Geschleppe. Er konnte nur gehen, wenn wir eine Krankenschwester hatten. Bis heute brauchte Neo nur 2 Mal in der Kita Sauerstoff, da er nie Mittagsschlaf gemacht hat. Sein Körper brauchte damals nur 4 bis 6 Stunden Schlaf pro Tag, gerne gesplittet in der Nacht. Was für ein Planungsaufwand und Bürokratie.

Wie auch immer, das kennt ihr ja alle nur zu gut. Hinzu kam, dass er ständig krank war. Wöchentliche Ausfälle, die Krankenschwestern durften aber nur in die Kita und nicht bei uns am Tag zu Hause sein. Unser Arbeitsalltag war und ist weiterhin herausfordernd. Erst seit Ende November 2023 ist er durch ein für uns neues Antibiotikum stabiler. Neo entwickelt sich gut und ist glücklich und wir atmen langsam etwas durch. Was nicht heißt, dass er nicht des Öfteren krank wird und wir weiter Meister im Organisieren sind.
Neo kommt nun ab August 2024 ins Brückenjahr. Wir haben uns entschieden, dass er das Vorschuljahr noch in der Kita macht. Er wird im August 2025 eingeschult. Wir sind sehr zufrieden mit unserer Kita Wahl.

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